Für meine Waldfrieden-Mädels
Das vielleicht Schönste an der Kur war der See.
Insbesondere bei 36 Grad im Schatten (kaum vorhanden).
Gut- mit Ausnahmen. Das tapfere Mädel, die sich am Seeufer einen Holzpfahl in den Oberschenkel rammte, aber trotzdem weiter schwimmen ging, fand vermutlich wasserdichte Pflaster viel schöner. Und ihr Bruder, der in der undurchdringlichen Tiefe lebensbedrohliche Wesen vermutete, der sah das vermutlich auch anders. Bei der zuckersüßen Familie Schwan mit ihren vier Plüschies waren aber alle gleichermaßen verzückt.
Umso schockierter waren alle, als am letzten Abend unserer Kur Papa Schwan eine Angelschnur aus dem Schnabel hing. Noch mit Blei dran und vermutlich einen Haken am anderen Ende- der jetzt im Hals steckte!
Meine leise Hoffnung, die Kinder am Steg würden es nicht bemerken und ich selbst könnte es ignorieren, wurden durch Kinderschreie unterbrochen, bevor der Gedanke zu Ende gedacht war. Mistmistmist. Was nun?
Vielleicht Papa Schwan mit Futter anlocken und an der Strippe ziehen… Schwierig, doch einen Versuch wert. Insbesondere ohne Futter. Aber irgendwas essbares liegt bei Mutter-Kind-Kuren selbst auf dem Schwimmsteg rum. Die Banane erwies sich nicht als optimal und der Angelmais als zu Ende, bevor Papa genug Vertrauen fasste, um nah genug ran zu schwimmen. War auch nicht so einfach mit einer Horde Kinder, die Angst hatten, dass Familie Schwan Finger abbeißt und Arme ausreißt. Oder wegen der Angelschnur das Familienoberhaupt demnächst bei einer (Achtung! Wortspiel!!) Seebestattung für immer verabschieden muss.
Aber ignorieren ging ja nun auch nicht. Also zur mobilen Allzweckwaffe greifen und erstmal nach Tierrettung und Naturschutz googlen. Die erste Telefonnummer bot nur einen Anrufbeantworter an. Die zweite war nur für Haustiere zuständig und die dritte war die Feuerwehr.
Ein bisschen blöd kam ich mir schon vor, für so ein Geflügel die 112 zu wählen, aber sieht man nicht ständig Reportagen über Rettungsaktionen für sämtliche Wildtiere?
Egal. Jetzt musste der Gesprächspartner nur davon überzeugt werden, dass Schwanrettung total wichtig ist. Also habe ich die Anzahl der weinenden Kinder stark übertrieben, schon das Blei im Schwan reingeredet und über die Wirkung auf die Psyche aller Augenzeugen schwadroniert. Herr Notrufzentrale war auch erstaunlich schnell bereit, für 50 traumagefährdete Erdenbürger ein Einsatzkommando zu mobilisieren. Wir sollen schon mal an der Straße warten, um den Rettungskräften den Weg zum sterbenden Schwan zu weisen (die Wortwitze überschlagen sich heute förmlich).
Familie Schwan war unterdessen entschwunden. What the f***?!? In dem Moment habe ich mich ernsthaft gefragt, was ich da angestellt habe. Als dann noch die Frage aufkam, wieviel einem so ein Feuerwehreinsatz eigentlich Kosten würde, wurde mir echt schlecht. Nein- das hatte wirklich nix mit Magen-Darm zu tun!
Zum Glück fiel dem Sohnemann ein, dass wir die Schwäne garantiert an ihrem Schlafplätze wieder finden können. Also nix wie hin!
Die halbe Stunde Wartezeit habe ich versucht, den Kindern interessante Fakten zur gleich folgenden „Retter im Einsatz Liveshow“ zu vermitteln. Wie sind die Telefonnummern der Polizei und Feuerwehr? Erste Hilfe kann auch ein Anruf sein. Und wusstet ihr, dass tatsächlich so viele Fernsehkonsumenten annehmen, die 911 aus den amerikanischen Filmen wäre sowas wie eine weltweite Hilferufnummer, dass man diese mittlerweile auch hier wählen kann? Zwischendurch ließ ich mich noch von einer Wespe stechen und mich mit der Horde Kinder in Badehose und Handtuch von den Eingeborenen begaffen.
Nach der halben Stunde rief Herr Notrufzentrale erneut an. Es gab technische Problemchen und er konnte erst jetzt den Notruf weiterleiten. Aha. Das ist ja toll. Wo kommt denn jetzt die Feuerwehr her? In welcher Richtung muss ich meine Hoffnung senden? Na, meinte er, die kommen aus Buckow! In dem Moment heulte die Sirene der freiwilligen Feuerwehr los! Voll live!!
Ich habe dann noch gewagt, vorsichtig anzufragen, was mich der ganze Spaß eigentlich kosten würde…?
„Meist sind das so um die 1.000,00 Euro!“
„Sie verarschen mich doch jetzt, oder?“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Man hört doch so Geschichten…“
„So? Welche denn?“
„Halt so über gerettete Katzen aus Bäumen…“
„Gute Frau, wie viele Katzengerippe haben Sie schon auf Bäumen gesehen?“
„Äh…?“
„Sehn se, die kommen nämlich alle runta! Noch nie is ne Katze auf nem Boom verreckt!“
„Und jetzt im Ernst?“
„Neee, dat kostet sie nüscht. Es ist ein Wildtier, sie haben das nicht verursacht und sie wollen schließlich nur helfen. Helfen kostet nix.“
Puh!
Das folgende Spektakel hätte ich eigentlich filmen müssen! Das glaubt mir kein Mensch! Aber ich hatte die Kids gerade daran erinnert, dass wir hier keine Party feiern, sondern jetzt voll betroffen sind und mit dem Schwan mitleiden. Da fand ich die Touristen-Nummer irgendwie unangebracht. Ihr müsst mir jetzt mal ohne Beweise glauben.
Also das war so: erst fuhr mit fett Blaulicht und Tatütata der Leiterwagen vor. Drei Männer und drei Frauen an Bord. Dann kam die Einsatzleitung mit einem VW-Bus. Auf dem See traf fast gleichzeitig ein Schlauchboot ein, der von der Seeseite aus den Schwan suchte. Und dann kam noch ein versprengter Feuerwehrmann mit dem Fahrrad hinterher. Mittlerweile stand auch schon die Dorfjugend Gewähr bei Fuß und die Gäste der umliegenden Lokale kamen rübergeschlendert.
Jetzt wollte ich unsichtbar werden. Klappt nur leider nie, so dass ich kleinlaut die Frage nach dem Feuer? Unfall? Wasistlos? mit „Schwan hat Angelschnur gefressen“ beantwortet habe. Die ersten Schaulustigen verließen unter abfälligen Bemerkungen die Bühne. Herr Feuerwehrmann lachte freundlich und meinte, Papa Schwan hat seit dem letzten Jahr die Strippe da zu hängen. Jetzt kam ich mir wirklich blöd vor. Ich bat ihn noch, mir schriftlich zu bestätigen, dass sowas für Schwäne total normal ist und sie daran nie und unter keinen Umständen verenden. Ich müsse das nämlich 100 weinenden, traumatisierten Kindern erklären. Übrigens war am Papa Schwan die letzen 13 Tage weit und breit keine Angelschnur zu sehen.. Und Papa Schwan ließ sich in dem Moment sehr effektvoll total erschöpft zu Boden sinken. Auf den ist Verlass!
Dann ließ sich der Feuerwehrtrupp überreden, doch mal gucken zu gehen. 10 Mann kreisten die Schwanenfamilie ein und beratschlagten, während die anderen 6 halt so rumstanden. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde Papa Schwan vom Rest der Familie separiert, die heftig aggressive Mama Schwan isoliert und einer hielt den Körper fest, während ein zweiter sich den Schnabel schnappte. In dem Moment kam von hinten der ruf des Einsatzleiters, der ziemlich genervt das Kommando gab, den Einsatz hier sofort abzubrechen.
Erneut kam ich mir total bescheuert vor, doch der Feuerwehrmann am Hals rief, er hätte es gleich. Und zog dem Schwan einen echt großen Haken aus dem Schlund. Ein Aalhaken von ungefähr 4 cm Länge und 2 cm Breite. Da brat mir doch einer nen Schwan!
Was waren wir erleichtert!
Mittlerweile war es halb Zehn, die Kinder überdreht und unser Abschlussektchen garantiert pupswarm.
Doch damit nicht genug!
Das am See verbliebene Trüppchen hatte sich zwischenzeitlich mit dem Nachbarn ein heftiges Wortgefecht geliefert. Dieser äußerte sich sehr ungehalten darüber, wie man denn nur für einen Vogel die Feuerwehr rufen könnte! Ein Wort gab das andere und die wortgewaltige Frau S. aus M., eindeutig als Bewohnerin der alten Bundesländer zu identifizieren, musste sich dann anhören, dass „nur ein blöder Wessi“ auf solche Ideen kommt! Nö, das war ein Ossi, der den Notruf tätigte!!!! Das würde niemals ein Ossi machen wurde gekontert und weitere Feinheiten des Gespräches habe ich ja leider verpasst… Immerhin reichte die Lautstärke aus um in der Klinik mit „na, du blöder Wessi!“ begrüßt zu werden. Herr Nachbar wird NIE erfahren, dass ich zwar in Brandenburg wohne, doch waschechte Berlinerin bin. WESTberlinerin…
Ist das nicht arm, dass sowas nach über 24 Jahren des Mauerfalls noch irgend eine Geige spielt???
Aber was soll’s. Wir haben Papa Schwan das Leben gerettet. Das gibt garantiert volle Punktzahl für’s Karma!