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Frühlingsanfang

Schuhe sind was Tolles. Schuhe kann man gar nicht genug haben. Ich besitze reichlich davon, manch Einer wird behaupten, bei nur zwei Füßen sei ich überdurchschnittlich mit Schuhwerk ausgestattet.

Aber es gibt ja auch immer spezielle Gelegenheiten, seine Füße entsprechend zu kleiden.

Es gibt Highheels, Ankleboots, Slingpumps, Ballerinas mit und ohne Guckloch an den Zehen, es gibt Badelatschen, Skischuhe, Taucherflossen, Moonboots und sogar Schuhe, die so tun, als wären sie gar nicht vorhanden, sogenannte Barfußschuhe. Ich besitze sie alle.

Vor ein paar Tagen war ich im Designer Outlet Berlin und habe mich mal wieder etwas underdressed gefühlt zwischen all den wohlhabenden Neureichen, den osteuropäisch sprechenden Oligarchen in Pelz und Chapka, zwischen den Kleinkindern in Kopf bis Fuß Chanel auf der Suche nach DEM Markenschnäppchen und habe natürlich immer genauestens beobachtet, welcher Streetstyle mir nun wieder entgangen ist.

Wirklich am besten fand ich das Mädchen in dem grauen Parka und den superstretchslimkörpernahen grauen Jeans, die diese auch extra noch etwas hochgekrempelt trug, um den Blick auf extraschlanke Fesseln zu richten UND… sockenlos in Lederslippern steckte! Bei minus 9 Grad und sibirischem Ostwind mit einer Windchilltemperatur von ganzganz klein!!!

Habe mir kopfschütteln gewünscht, dass die Stimme ihrer Mama in ihr (im ohne Frage vorhandenen Hohlraum) nachhallt, wenn sie mit Rotznase und heißem Tee die Erkältung ausbadet und mir gedacht, dass ich nicht jeden Trend mitmachen muss, der total bescheuert ist.

Gestern hatte ich diese kleine Begebenheit schon wieder nahezu vergessen, als ich einen jungen Mann beobachtete, der sich an einer Brücke am Geländer abstützte, um sich den Streusplit von den Füßen zu pulen. Ja, liebe Leser, schlimmer geht immer! Denn dieses Exemplar der Evolution hatte nicht nur keine Socken an – nein! Er war komplett barfuß unterwegs. Ansonsten sah er völlig handelsüblich aus – nicht etwa gehüllt in orangenes Tuch und mit geschorenem Haupt, sondern Jeans, Parka, Rucksack… nur halt keine Socken und Schuhe.

Ja, liegt’s am Parka, dass die Leute reihenweise ausflippen?

Was bewegt einem dazu, in dieser arktischen Kälte socken- und schuhfrei rumzuwandern? Split ist echt heimtückisch scharfkantig. Und warum hatte der Kerl die Schuhe nicht in der Hand? Könnte ja sein, dass ich die Schuhe mal kurz ausziehen muss, aber dann lasse ich doch zumindest die Socken an. Ist es vielleicht ein neuer Hype zur Förderung der Durchblutung? Eine wahrnehmungsfördernde Selbsterfahrung, statt über glühende Kohlen barfuß durch ein gesteutes, dreckiges winderliches Spandau zu laufen?

Ich weiß es nicht…

Oder ist das einfach nur der spezielle, dickköpfige Frühlingsanfang?